Mittlerweile steht sogar schon mein zweiter Erfahrungsbericht an, was bedeutet, dass ich schon ein halbes Jahr hier bin. Die Arbeit mit den Maedchen macht mir immer mehr Spass, denn wir haben mittlerweile ein sehr vertrautes Verhaeltnis und ich weiss genau, wer wie tickt. Ich fange mal vorne an: Weihnachten war eine stressige Zeit, da es viele Veranstaltungen gab und richtig viel organisiert werden musste. Ben kam am 17.12. und wir haben zusammen mit den anderen Volontaeren und Familie/Freunden Heiligabend gefeiert. Nach den Feiertagen sind wir zwei nach Port Shepstone gefahren, um dort 10 Tage Urlaub zu machen, was wirklich schoen war! Im Januar musste Ben leider schon wieder fahren und dann hiess es fuer mich: zurueck an die Arbeit. Auf dem Arbeitsplatz hat sich vieles geaendert; Inga hat zu Inkululeko gewechselt, da sie sich urspruenglich fuer den Kindergarten beworben hatte, aber irrtuemlicherweise ins Lerato House gerutscht ist.
Ausserdem kann endlich das Projekt ‘Loop-Street’ beginnen (auch Teil von PCM), da die
Renovierungsarbeiten soweit abgeschlossen sind. Diesen Freitag sollten die Maedchen eigentlich umziehen, doch da irgendjemand die Matratzen geklaut hat, ist es fraglich, ob der Termin eingehalten werden kann.
Das Projekt ‘Loop-Street’ ist fuer Maedchen aus dem Lerato-House, die nicht mehr zurueck nach Hause koennen und juenger als 16 Jahre alt sind. Das bedeutet, Henry und ich werden schweren Herzens sieben unserer Girls dorthin schicken “muessen”. Fuer die Maedchen ist es super, da sie dort praktisch wie zu Hause leben, und Patricia, unsere Hasumutter, rund um die Uhr dort ist (wie eine richtige Mama, sozusagen).
Das bedeutet, dass es einen grossen Wechsel in der Besatzung geben wird, aber ich hoffe, wir koennen den Kontakt zu den Girls halten.
Man merkt auch deutlich, dass die Schule wieder angefangen hat, da jeden Tag kurz vor Feierabend voellig ueberforderte Maedchen ins Buero reinschneien und uns verzweifelt erklaeren, wie viiiiiele Hausaufgaben sie aufhaben und wie unloesbar diese seien…Naja, dann muss man eben nochmal ne halbe Stunde opfern um sich Problemen in Life Orientation, History, Accounting oder Maths zu widmen.
Die Hausaufgaben nehmen sogar so viel Zeit in Anspruch, dass wir seit Anfang Dezember kein Fussballtraining mehr hatten. Aber durch die Umstrukturierung muessen wir sowieso mal einen neuen Wochenplan entwerfen.
Im Januar musste eins unserer Maedchen ins Krankenhaus, da sie starke Margen-Darm Probleme hatte. Diesen Fall hat Henry weitestgehend uebernommen. Es sah richtig kritisch aus fuer Dimakatso, doch gluecklicherweise ging es ihr nach einer Woche schon wieder besser. Wir vermuten, dass die Krankheit nicht durch falsches Essen, sondern durch starke psychische Probleme ausgeloest wurde. Daraufhin werden wir sie jetzt in professioenelle Haende geben, also schnellstmoeglich zu einem Psychater schicken.
Letzten Donnerstag hatte unser neues Projekt Premiere: wir sind letzten Donnerstag nach Feierabend ins Lerato House gekommen und haben einen ganzen Abend ueber Liebe, Beziehungen, Freunde, Fremdgehen und Schlussmachen gesprochen. Dieser sogenannte ‘Open Talk’ war ein voller Erfolg und hat unsere Erwartungen erfuellt, wenn nicht sogar uebertroffen. Die Maedchen haben zugehoert, mitgemacht, viele Fragen gestellt und sich gegenseitig widersprochen, kurzum es hat sich im Laufe des Abends eine richtig gute Diskussionskultur eingespielt.
Die Stimmung war anfangs ziemlich angespannt, da keiner (auch wir zwei nicht) wussten, was uns erwartet. Zuerst haben wir Kerzen aufgestellt und uns in Decken eingekuschelt . Es wurde niemand gezwungen etwas zu sagen, aber viele waren so interessiert dabei, dass wir sie kaum auffordern mussten, sich zu beteiligen. Manche haben gar nichts gesagt, aber haben die ganze Zeit aufmerksam zugehoert. Ich denke den Maedchen hat es viel Spass gemacht und die Diskussionen waren bestimmt nicht vorbei, nachdem wir gegangen sind. Mal schauen, was das naechste Thema ist, aber ich kann mir gut vorstellen, dass das Thema Beziehung noch lange nicht erledigt ist…
An diesem Abend haben uns zwei der Maedchen kurzfristig gefragt, ob wir morgen mit ihnen ins Gericht kommen koennten.
Am naechsten Tag um 9.00 Uhr (statt wie angekuendigt um 8.00) ging es los in Richtung Attridgeville. Das Gerichtsgebaeude dort war ein kleiner, grau-gelber Kasten im Nirgendwo und sah etwas runtergekommen aus. Dann musste das Maedchen erstmal alle Einzelheiten dem Staatsanwalt erzaehlen (sie wurde mehrfach vergewaltigt und sollte gegen ihren Willen mit diesem Mann verheiratet warden), danach, abgeschottet von uns, ziemlich lange auf die Uebersetzerin (Zulu-Afrikaans) warten. Anschliessend musste sie der Richterin alles noch einmal erzaehlen. Die ganze Verhandlung wurde auf Afrikaans gehalten, was ausser der Richterin und dem Staatsanwalt keiner wirklich verstanden hat. Die Richterin ist bei Henry und mir wirklich unten durch, da sie mitten in der Verhandlung anfing, ihre Naegel zu feilen und meiner Meinung nach absolut keinen Respekt (und Interesse) gegenueber der Klaegerin gezeigt hat.
Da das Maedchen noch minderjaehrig ist und grosse Angst vor dem Mann und seinen Angehoerige hatte, wurde sie per Video zugeschaltet und wir mussten dann bis um halb fuenf auf dem Gang warten, bis die Verhandlung endlich abgeschlossen war. Danach war die Arme voellig aufgeloest. Der Gerichtstermin wurde auf den 27.2 verschoben, da es zu lange gedauert hat und die Kleine wirklich am Ende war.Was mich seit dem sehr beschaeftigt hat ist, dass sie so ein wahnsinnig lebensfrohes Maedchen ist und
man ihr nichts, aber auch wirklich gar nichts angemerkt hat. Ich habe zwar ihre Akten gelesen und mir war bewusst, was sie erlebt hat, doch man merkt es ihr im Alltag einfach nicht an.Im Prison Outreach haben wir mittlerweile Fuss gefasst und die Madels begruessen uns mit Handschlag und Umarmung. Am Valentinstag haben wir Karten gebastelt, was ihnen wirklich viel Spass gemacht hat und ein bisschen Abwechslung in den grauen Gefaengnis Alltag gebracht hat. Unser erstes Night Outreach war etwas schockierend. Wir haben an einem Hochhaus Komplex Halt gemacht, der uebrigens von Nigerianern verwaltet wird (Nigerianer sind immer asozial, jedenfalls aus Sicht eines durchschnittlichen Suedafrikaners. Sie sind in erster Linie diejenigen, die Drogen verticken, vergewaltigen, klauen und morden). Jedenfalls sind wir dort Frauen, besser gesagt jungen Maedchen begegnet, von denen die meisten auf Drogen waren. Eine 16-jaehrige hat gesagt, dass sie nur trinkt und nichts anderes nimmt. Es war auch die einzige, die am naechsten Tag zu uns ins Drop –In gekommen ist, um sich helfen zu lassen. Wenn ich es richtig verstanden habe, dann kommt sie von den “rural areas” und “wollte was erleben”. Waehrend wir uns unterhielten, huepfte eine Schwangere ueber die Strasse, zu ihrem Pimp (Zuhaelter), der sie mit Drogen vesorgt hat. Im Laufe des Abends haben wir noch ein Maedchen getroffen, das durch Human Trafficking zur Prostitution gezwungen wird. Wir haben mit ihr geredet, gebetet und Handynummern ausgetauscht. Am naechsten Tag hat Mashadi (unsere Outreacharbeiterin) sie angerufen, doch am Telefon war ihr Zuhaelter. Tja. Was macht man da? Die einzige Moeglichkeit Kontakt zu halten ist, waehrend dem Outreach selber. Maedchen die durch Human Trafficking (http://www.mg.co.za/article/2007-06-05-sa-hotbed-of-human-trafficking oder: http://en.wikipedia.org/wiki/Human_trafficking_in_South_Africa ) in Sklaverei gehalten werden, kommen nur sehr schwer selber aus dieser Gefangenschaft raus, da sie rund um die Uhr bewacht werden und/oder eingesperrt sind. Ein weiteres Outreach Ziel ist die Church Street. In einem dreckigen Hinterhof, vorbei an alten Autowracks, in denen sich die Bewohner gerade ihr Drogengemisch zusammenbrauen und sich dann apathisch in den Sitzen ( bzw. das was davon uebriggeblieben ist) versunken auf irgendwelche Trips
begeben. Drumherum steht gruenliches Regenwasser mit Muell und man muss verdammt aufpassen, dass man dort nicht ausversehen reinrutscht. Die Behausungen der Leute (Prostituierte/Dealer) nennen sich Shacks. Das sind kleine, aus Pappe oder Wellblech bestehende “Raeume” wo alles irgendwie zusammengeschustert und notduerftig geflickt ist. Wir sind dort auf Frauen getroffen, die teilweise schon Jahre im “Business” sind oder junge Frauen, wo man das Gefuehl hat, sie haben sich einfach mit ihrem Schicksal abgefunden. Das Schicksal besteht aus Sex, Drogen und Dreck.
Nach so einem Ausflug braucht man immer erstmal Zeit, bis man das verdaut hat. Die beiden Ladys, die den Outreach leiten haben so viel Erfahrung, da tut es gut sich danach auszutauschen, denn sie haben einen relativ nuechternen Blick auf die Geschehnisse und behalten doch immer ihren Humor (was ich sehr schaetze! Und was wahrscheinlich ueberlebenswichtig ist in einem Beruf wie diesem…)
Der Rest in Kuerze:
Leo und ich haben uns ein Auto gekauft, einen Beetle von ’76, er ist knallorange und faehrt wunderbar! Dadurch haben wir schon so viel mehr Sachen am Wochenende gesehen und gemacht, ich muss sagen: es hat sich wirklich gelohnt. Dann haben wir einen deutschen Baecker und Metzger in Pretoria gefunden, was uns fast die Traenen in
die Augen getrieben hat, ich habe es noch nie so genossen in einer Baeckerei oder Metzgerei zu sein. Anfang Februar hatten wir ein Seminar mit ca. 50 anderen Weltwaertslern aus SA, um die vergangene Zeit zu resuemieren und unsere Plaene fuer die kommenden 6 Monate zu besprechen. War sehr interessant und aufschlussreich und hat mich nochmal motiviert bezueglich Arbeit und Alltag in Pretoria.
Dann war ich endlich das erste mal hier in der Kirche. So, nun bin ich wiedergeboren. Hat mir jedenfalls der Usher (Gehilfe) verkuendet. Dann sollte ich noch gleich meine Adresse und Handynummer und alles aufschreiben, damit sie mir Material schicken koennen und mich besuchen kommen koennen. Aehm, nein Danke…
Es erwartet mich ein weiteres spannendes halbes Jahr auf der unteren Erdhaelfte, liebe Gruesse und Danke fuer eure tolle Unterstuetzung! Eure Clara